Mond - Geschichte 

Der große Mond-Ulk von 1835

Bild vergrößernDer 18,7" Reflektor in Südafrika
©Mission Mond
Great Astronomical Discoveries Lately Made By Sir John Herschel At The Cape Of Good Hope
(Kürzlich gemachte, große astronomische Entdeckungen des Sir John Herschel am Kap der Guten Hoffnung)


Es war - wenn man den Berichten der "New York Sun" vom 25. August 1835 vertrauen will - am 10. Januar des Jahres 1834 abends. Es ist 21 Uhr 30: In der Sternwarte am Kap der Guten Hoffnung richtet Sir John Herschel ein neues Fernrohr von unerhörter Leistungsfähigkeit auf den Mond, der vier Tage zuvor das erste Viertel überschritten hatte.

"Die ganze ungeheure Kraft des Teleskops wurde in Anwendung gebracht und dem Bilde des Brennpunktes etwa die halbe Stärke des Mikroskops appliziert. Als der Deckel des letzteren abgenommen worden, erblickte man in dem Gesichtsfelde eine über die ganze Fläche desselben sich erstreckende prachtvolle, deutliche und selbst lebhafte Darstellung eines Basaltgebirges. Die Farbe desselben war grünlichbraun und die durch Zwischenräume auf der (als Projektionsfläche dienenden) Leinwand genau begrenzte Breite der Säulen durchweg 28 Zoll. Nicht der geringste Riss zeigte sich in der zuerst erschienenen Masse; nach einigen Sekunden aber kam ein losgetrenntes Bruchstück von fünf oder sechs Säulen zum Vorschein, sechseckig von Form, und in der Zusammenfügung der einzelnen Teile den Basaltgebilden auf Staffa ähnlich. Das umgestürzte Bruchstück war mit einer dunkelroten, dem Klatschmohn unserer sublunarischen Kornfelder vollkommen ähnlichen Blumengattung über und über bedeckt: dem ersten organischen Naturprodukte einer anderen Welt, welches dem menschlichen Auge enthüllt wurde!...

Bild vergrößernMondmenschen und Mondbiber beim Hüttenbau
©New York Sun

Dann kam eine Erhebung, an deren Fuße die Beobachter zu ihrer Überraschung etwas ganz Neues, einen Mondwald, erblickten! "Die Bäume", sagt Dr. Grant, "waren während eines Zeitraumes von 10 Minuten unverändert von einer und derselben Art und allen von mir bis jetzt gesehenen, die großen Eibenbäume auf Englands Kirchhöfen, denen sie einigermaßen nahe kommen etwa ausgenommen, ganz und gar unähnlich." Bald darauf wurde ein Tannengehölz sichtbar, dann wieder eine gebirgige Gegend von hoher romantischer Schönheit. Von besonderer Pracht war die Umgebung des Mare Nubium, "denn schönere Ufer wahrlich wurden wohl schwerlich von Engeln auf einer Spazierfahrt betreten. Ein Strand von glänzend weißem Sande, umgürtet mit wilden, hochgetürmten und, dem Anscheine nach, grünen Marmorfelsen, welche alle 200 oder 300 Fuß von dunklen Klüften unterbrochen wurden, mit grotesken Kalk- oder Gipsblöcken, die Gipfel gekrönt und verschönt durch das hängende Laub unbekannter Bäume... Das Wasser, so oft es in unserem Gesichtsfelde erschien, war blau, fast wie das des tiefen Ozeans, und brach sich in langen weißen Wogen am Ufer…

Im Schatten der Bäume sahen wir zahlreiche Herden brauner Vierfüßler, die dem Äußeren nach vollkommen den Bisonochsen glichen…

Das nächste von uns entdeckte Tier würde auf der Erde für eine Missbildung gehalten werden. Es war bläulich bleifarben, von der Größe einer Ziege, mit Kopf und Bart wie diese, und einem einzigen, ein wenig nach vorn gekrümmten Horne…

Bild vergrößernMondmenschen und andere Kreaturen
©New York Sun

Auf einer hohen, baumgeschmückten Klippe wurden zum Erstaunen der Beobachter große, beflügelte Geschöpfe sichtbar, welche durchaus keiner Art von Vögeln ähnelten. "Sie waren ungefähr vier Fuß hoch und mit Ausnahme des Gesichts mit kurzen, kupferfarbenen Haaren bedeckt und hatten Flügel, welche aus einer dünnen, elastischen Haut bestanden, die hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden lag. Das Gesicht, welches von gelblicher Fleischfarbe war, zeigte eine kleine Veredelung gegen das des großen Orang-Utans, da es offener und klüger aussah und eine weit größere Ausdehnung des Vorkopfes zeigte."…

Das Haupthaar war dunkler als das Körperhaar, dicht, gekräuselt, aber wahrscheinlich nicht wollig, und lag in zwei sonderbaren Halbzirkeln über den Schläfen des Vorkopfes. Indem sie vorübergingen und wenn wir sie später sahen, waren diese Geschöpfe augenscheinlich in Unterhaltung begriffen; ihre Gestikulation, besonders die veränderlichen Bewegungen ihrer Hände und Füße, erschienen leidenschaftlich und emphatisch…

Die Flügel schienen völlig der Willenskraft unterworfen zu sein, denn diejenigen Geschöpfe, welche wir badend sahen, spreizten sie sogleich in ihrer völligen Weite aus, schwangen sie, wie die Enten, um das Wasser abzuschütteln, und falteten sie sodann ebenso schnell wieder in eine kompakte Form zusammen. Unsere ferneren Beobachtungen hinsichtlich der Gewohnheiten dieser Geschöpfe, welche von beiden Geschlechtern waren, führten zu so beachtenswerten Resultaten, dass ich es vorziehe, sie dem Publikum zuerst in Dr. Herschels eigenem Werke vorlegen zu lassen. Wir benannten die Klasse dieser Geschöpfe mit dem wissenschaftlichen Namen Vespertilio homo oder Fledermausmensch, und es sind ohne Zweifel unschuldige, glückliche Kreaturen, obgleich einige ihrer Vergnügungen sich nur schlecht mit unseren irdischen Ansichten vom Dekorum vertragen würden."…

Bild vergrößernNew York Sun
©Mission Mond

Die hier in Auszügen übersetzte Zeitungsente ist unter dem Namen Mond-Schwindel (Moon Hoax) in die Mediengeschichte eingegangen. Es war der bis dahin wohl erfolgreichste veröffentlichte Scherz auf wissenschaftlichem Gebiet überhaupt. Die New York Sun, die ihn in mehreren Fortsetzungen publizierte, verdankte ihm eine Verfünffachung ihrer Auflage und schlug damit sogar die bis dahin auflagenstärkste New York Times; ein Sonderdruck wurde innerhalb eines Monats in 60.000 Exemplaren verkauft. Und auch im Ausland fand die fantastische Geschichte schnell ihre Leser: in zahlreichen Ländern erschienen Übersetzungen, in Hamburg allein mindestens drei.

Was sich bald als hausgemachte Lügengeschichte entpuppte, wurde zunächst auch von einigen Fachleuten völlig ernst genommen. Die Annahme, der Mond sei bewohnt, war schließlich noch bei Wissenschaftlern des 18. Jahrhunderts weit verbreitet. Zuletzt war 1822 von dem Astronomen Franz von Paula Gruithuisen eine Schrift über eine bewohnte Mondstadt veröffentlicht worden und auch Wilhelm Herschel, der Vater John Herschels, hatte sich um 1790 ernsthaft mit der Fragestellung eines bewohnten Mondes auseinander gesetzt. Johannes Kepler glaubte ebenfalls an Mondbewohner. Er nannte sie Levanier und beschrieb sie als sehr groß Wesen von ungewöhnlicher Statur. Die älteste frei erfundene Geschichte über einen bewohnten Mond stammt allerdings aus dem Jahr 160 n. Chr., als der Grieche Lukian von Samosata von einem Kolonialkrieg zwischen den Mondbewohnern und dem Sonnenvolk auf den Schlachtfeldern des Mondes berichtete.

Autor der Artikelserie in der New York Sun war Richard Adams Locke, ein naher Verwandter des berühmten Philosophen John Locke. Er erhielt für den ersten Artikel 150 Dollar und noch einmal soviel, als der durchschlagende Erfolg eine Fortsetzung der Geschichte erforderte. Der Grund für die scheinbare Glaubwürdigkeit des Berichts lag schließlich in der gelungenen Mischung aus Dichtung und Wahrheit. John Herschel war tatsächlich von England zu einer mehrjährigen Studienreise nach Südafrika aufgebrochen, um dort den südlichen Sternenhimmel zu beobachten. Und wie bereits sein Vater hatte auch er sich mit dem Bau von für die damalige Zeit riesigen Teleskopen befasst. Folglich begann der Artikel mit einem breit angelegten Vorbericht, der gewissenhaft all die technischen Schwierigkeiten schilderte, die in der Stille, aber mit riesigem Aufwand unter Beteiligung der Royal Society und in Fortführung der Arbeiten des älteren Herschel am Bau von Rieseninstrumenten überwunden worden waren. Fachkundige durchschauten die Eulenspiegelei jedoch sehr schnell: Ein Fernrohr von 42.000facher Vergrößerung und die Helligkeitsverstärkung des Brennpunktbildes mit durchströmendem Licht (in einem "Hydro-Oxygen-Mikroskop"!) gab es einfach nicht und an jenem denkwürdigen 10. Januar 1834 war... Neumond, der Mond also überhaupt nicht sichtbar.

Bild vergrößernSir John Herschel
©Mission Mond

Am 16. September 1835 verkündete die New York Sun schließlich, dass die ganze Geschichte nur ein geschickt lancierter Schwindel war. Der Zeitung schadete das "Geständnis" allerdings nicht: Das Gelächter bei den Lesern war groß und die erzielte Steigerung der Auflage blieb auch weiterhin erhalten. Nur in Großbritannien war man mehr als ungehalten und wegen der vermeintlichen Beleidigung John Herschels sogar regelrecht verärgert. Und Herschel selbst? Er erfuhr von der Geschichte von dem Leiter einer New Yorker Tierschau, der in Afrika neue Tiere kaufen wollte. Als der Jamaikaner Caleb Weeks Herschel in einem Hotel in Kapstadt traf, um ihn mit aktuellen Tageszeitungen aus seiner Heimat zu versorgen, staunte der nicht schlecht, dass er Ergebnisse publiziert haben sollte, die er noch gar nicht niedergeschrieben hatte. Als er dann die betreffenden Ausgaben der New York Sun gelesen hatte, dröhnte durch die Hotelhalle das Lachen des Astronomen. Einen persönlichen Angriff gegen ihn konnte er beim besten Willen in dem gelungenen Scherz nicht erkennen.




 
 

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Autor dieses Artikels:  C. Vester/cc-live

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